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Nationale Tourismusstrategie – Wohin geht die Reise?

Am 6. Mai bin ich eingeladen an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Nationale Tourismusstrategie – Wohin geht die Reise?“ teilzunehmen. Ich habe dort dann drei Minuten Zeit für ein Eingangsstatement sowie Zeit für Rückfragen, um den Themenbereich Digitalisierung zu beleuchten. Um mich darauf vorzubereiten, habe ich meinen Blick auf „die Digitalisierung“ zusammengefasst und die sich aus meiner Sicht daraus ergebenden Konsequenzen aufgefasst. Damit ich das dann im Bundestag auch in den 3 Minuten knackig auf den Punkt bringen kann, habe ich das ganze hier einmal zu Papier gebracht. Ich bin dankbar über Ergänzungen und andere Sichtweisen, die ich noch berücksichtigen kann!

Grundlage meiner Überlegungen ist ein Modell, welches wir (Dirk Schmücker, Edgar Kreilkamp und ich) im Rahmen eines Forschungsprojektes im Auftragt des Umweltbundesamtes entwickelt haben. Ziel des Vorhabens war es die beiden Mega-Themen Digitalisierung und nachhaltige Tourismusentwicklung zusammen zu bringen. Hierzu benötigten wir zunächst eine Struktur davon, was wir im Rahmen der Studie unter „der Digitalisierung“ verstehen.

Das Schalenmodell der Digitalisierung

Das „Schalenmodell der Digitalisierung“ besitzt drei Ebenen: Data Connectivity, Data Infrastructure und Data Ecosystem.

Quelle: Schmücker, Horster und Kreilkamp 2019: Schalenmodell der Digitalisierung.

Data Connectivity

Im Kern steht die Vernetzung von Daten (Data Connectivity). In dieser Ebene finden sich die Kategorien Big Data Analytics sowie die daran unmittelbar angrenzenden Themenbereiche Künstliche Intelligenz und Internet der Dinge. Mittels der Erfassung und Auswertung von großen Datenmengen (Analytics) entsteht neues Wissen und es können (wirtschaftliche) Potenziale gehoben werden. Eine besondere Relevanz kommt in diesem Zusammenhang auch dem Internet der Dinge zu, mit welchem bezeichnet wird, dass Gegenstände jeglicher Art mittels Sensor- und Transpondertechnologien ihre aktuellen Zustände, Positionen usw. aufnehmen und weiterleiten. So entsteht eine für Menschen nicht mehr auswertbare Masse an Daten, die mithilfe von Maschinen aber so verbunden und verarbeitet werden sollten, dass sie zu neuen Erkenntnissen, digitalen Dienstleistungen und weiterem mehr führen können. Die konkrete Form der Verarbeitung erfolgt hierbei oftmals über maschinelles Lernen (Machine Learning). Mithilfe von Algorithmen und dem Überprüfen der Datenauswertung (Training) können diese Daten zunehmend eigenständig von Maschinen ausgewertet werden. Dieser Prozess wird oftmals auch als künstliche Intelligenz bezeichnet, obgleich der Begriff „Intelligenz“ hierbei je nach definitorischem Verständnis nicht zutreffend ist, was hier aber nicht weiter vertieft werden soll. Die physische Gestalt, in der diese selbstlernenden Systeme in Erscheinung treten ist oftmals in Form von Robotern. Die drei Kategorien im Kern des Modells ermöglichen in ihrer Kombination eine Vernetzung und Auswertung von großen Datenmengen (Connectivity).

Data Infrastructure

In der zweiten Ebene wird die Data Infrastructure adressiert. Konkret werden bestimmte Voraussetzungen benötigt, damit das Kernsystem (Data Connectivity) arbeiten kann. Dazu gehört insbesondere die Digital Accessibility, welche Datenaustausch auf technischer Ebene ermöglicht. Zum einen ist hier die Datenverbindung mittels Mobilfunkstandards wie 5G relevant. Zum anderen müssen die Datenmassen aber auch in einer strukturierten und offenen Form bereitgestellt werden, damit diese von Maschinen interpretiert werden können. Dieser Aspekt wird mit dem Zusatz „Open Data“ betont. Nun müssen die Daten aber auch an einem bestimmten Ort gespeichert werden. Dies erfolgt typischerweise immer häufiger auf externen Servern, deren Infrastruktur als Service (Xaas) angeboten wird, womit die Kategorie Cloud Computing eine entsprechende Relevanz erfährt. Da die Datensicherheit ebenfalls wichtiger wird, wenn jegliche Daten zum einen erhoben und zum anderen extern abgelegt und ausgewertet werden, ist dieser Bereich ebenfalls ein Teil der Dateninfrastruktur. Schließlich muss die Voraussetzung geschaffen werden, dass die verarbeiteten Daten zum Kunden gelangen. Dies erfolgt insbesondere durch mobile Endgeräte (Devices), die selbst eine entsprechende Rechenleistung vorhalten, womit sie als Smart Mobile Devices bezeichnet werden können. Immer häufiger erfolgt das Ausspielen von Daten aber auch über immersive Erlebniswelten, welche in den Bereich der Erweiterten Realität fallen.

Data Ecosystem

Die außenliegende Ebene des Modells bezieht sich auf die wirtschaftliche Dimension: Im Data Ecosystem werden Daten in ökonomisches Kapital verwandelt. Dies erfolgt typischerweise über digitale Plattformen (Plattformökonomie). Diese Plattformen stellen die Schnittstelle zwischen Kunden resp. Gast und etwaigen Angeboten dar. Auffällig ist, dass derartige Plattformen eine Tendenz zur Monopolbildung haben (Netzwerkeffekte; Lock-In Effekte). Demzufolge haben jegliche Formen von Plattformen oftmals eine zentrale Stellung im Markt (sogenannte digitale Gatekeeper). Dieser Marktzugang kann unterschiedliche gestaltet werden. In einem klassischen marktwirtschaftlichen Sinne finden sich hier große (Amazon, Apple) sowie kleinere (Flixbus, MyTaxi) Plattformen. Aber auch in Bereichen wie Kommunikation (Facebook) ist der Plattformgedanke zentral. Wichtig und zu betonen ist zudem der gesamte Bereich der Sharing Economy, der sich komplementär zur klassischen Marktwirtschaft entwickelt und in dem private Werte (Assets) angeboten werden – im Tourismus insbesondere in Form von Unterkünften (Airbnb) oder im Bereich der Mobilität (Uber).

Digitale Ethik

Im Rahmen eines ganzheitlich betrachteten „Digitalen Universums“ stellt sich zunehmend auch die Frage einer Digitalen Ethik. Dies allerdings nicht im Hinblick auf eine eigenständige Kategorie. Vielmehr äußert sich dieser Aspekt in gesellschaftlichen Grundsatzfragen: Was wollen wir als Gesellschaft an technischer Entwicklung zulassen bzw. was wollen wir verbieten, selbst wenn wir es zulassen könnten? Politisch ist diese Ebene aber natürlich hoch relevant: Wie wollen wir die Digitalisierung entwickeln? Diese Frage stellt sich auch über die Grenzen der Tourismus hinaus und drängt sich mehr denn je auf!

Konsequenzen für eine nationale Tourismusstrategie

Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses muss daher erneut die Frage gestellt werden: Welche Konsequenzen können sich für eine nationale Tourismusstrategie im Hinblick auf die Digitalisierung ergeben?

Gestaltung der Data Connectivity

Durch die Vernetzung von Daten mittels der genannten Kategorien (siehe Modell) können Reisen übergangslos durchgeführt werden. Dies bedeutet, dass durch digitale Bezahlsysteme umständliche Geldwechsel entfallen, Check-Ins (egal ob im Hotel, in der Bahn, im Flugzeug, etc.) können vollautomatisiert werden und mit Translation-on-Demant Services können selbst Sprachbarrieren überwunden werden. Dieses sogenannte nahtlose Reisen (oder im Englischen Seamless Travel) wird von Reisenden zunehmend mehr erwartet und sollte daher bei strategischen Überlegungen eine entsprechende Berücksichtigung finden. Ein weiterer und damit einhergehender Aspekt wird insbesondere durch Entwicklungen der Sensor- und Transpondertechnologien gefördert: Durch den zunehmenden Datenaustausch von Objekten untereinander kann eine digitale Massenpersonalisierung ermöglicht werden. Ähnlich, wie dies bereits von großen Plattformen vorgehalten wird (bspw. ist die Google Suchergebnisseite personalisiert und kontextualisiert), wird dies auch im Tourismus eine entscheidende Rolle spielen. Dies beginnt bei der automatischen Einstellung von Sitz, Rückspiegel, Playlists, etc. in Mietwagen geht über das personalisierte Hotelzimmer (bis hin zur präferierten Wassertemperatur in der Dusche) und reicht bis zur automatisierten Reiseplanung auf Basis von persönlichen Präferenzen. Letztere kann dabei insbesondere ein Instrument der Besucherlenkung darstellen und sollte auch vor dem Hintergrund des sogenannten „Overtourism“ mitgedacht werden (siehe hierzu auch meine Ausführungen im Bereich „Data Ecosystem“).

Gestaltung der Data Infrastructure

Im Bereich der Data Infrastructure ist insbesondere die Kategorie der Digital Accessibility zu betonen: Zum einen bedarf es einem flächendeckenden und schnellen Breitbandverbindung, um Daten überhaupt übertragen und damit vernetzen zu können. Dies ist aufgrund der zunehmenden Relevanz des Internet der Dinge immens wichtig. Es sollte daher bei der Debatte um 5G nicht vergessen werden: Gerade vermeintlich abgelegene Regionen sind oft touristisch (und damit wirtschaftlich) hoch attraktive Räume, die auf eine entsprechende digitale Infrastruktur angewiesen sind. Und das nicht nur, damit Gäste Zugriff auf ihr Smartphone haben, sondern auch, damit entsprechende Mobilitätsangebote auch in Zukunft State of the Art sein können (Stichwort: autonomer und intermodaler Personenverkehr). Zum anderen müssen aber auch die Voraussetzung der Daten selbst gegeben sein, damit deren Vernetzung möglich wird. Dies betrifft den gesamten Themenbereich Linked Open Data. Hier ist die Branche auf einem guten Weg (die DZT sowie viele weitere Akteure sind entsprechend engagiert). Dieser Weg sollte konsequent weiterverfolgt werden, um eine Datenstruktur für die Zukunft schaffen, die auch für Maschinen lesbar ist und somit für das Zeitalter der sogenannt „künstlichen Intelligenz“ vorbereitet. Zu beachten ist, dass hier auch Daten aus den Bereichen Einzelhandel, Apotheken sowie etwaige andere Akteure der öffentlichen und privaten Versorgung mit bedacht werden sollten, da diese für Reisende ähnlich wichtig sind wie das Hotel oder das Restaurant.

Gestaltung des Data Ecosystem

Hinsichtlich der digitalen Geschäftsmodelle können DMOen unter anderem digitale Gästekarten etablieren, welche diesen ein wichtiges Steuerungselement geben, mit dem auch und insbesondere Besucherlenkung erfolgen kann, was vor dem Hintergrund von Kapazitätsgrenzen wichtig werden kann. Über die digitale Gästekarte kann ein erwünschtes touristisches Verhalten honorieren werden. Im weiteren Sinne kann dies als „Nudging“, also das Stupsen hin zu einem bestimmten Verhalten, verstanden werden. So kann Problemen wie Overtourism durch entsprechende Besucherlenkung begegnet werden.

Aber auch hinsichtlich eines attraktiven Angebotes, welches koordiniert werden muss, sind derartige digitale Services wichtig und können in Form einer modernen Gästekarte gesteuert werden. Und nicht unerwähnt bleiben sollte auch, dass dies natürlich ein wichtiges Instrument sein kann, um Kundendaten zu sammeln, die dann (unter Berücksichtigung der geltenden Datenschutzbestimmungen) für die Marktforschung nutzbar gemacht werden können.

Soweit meine Gedanken. Gerne Impulse hierzu!

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