Content Strategien im Social Web: Alle reden übers Wetter

Dieser Artikel von mir wurde erstmalig am 18. November 2013 bei futuremynd veröffentlicht.

Es scheint das Buzz-Word des Jahres zu werden: Content Strategie. Egal, auf welcher Veranstaltung ich dieser Tage bin. Auch unabhängig von den Akteuren. Immer geht es in Bezug auf das Social Web um: die richtige Content Strategie. Welche Inhalte passen zu unserem Unternehmen? Welche Themen wollen wir besetzen? Wie unterscheidet sich unsere Kommunikation innerhalb der unterschiedlichen Kanäle? Wollen wir unsere Kunden auf Facebook „duzen“? usw. usw.

Ich persönlich bin offen gestanden massiv genervt von diesen Diskussionen. Nicht, weil sie keine Berechtigung haben. Das nicht. Aber schon, weil mein Gefühl mir sagt: Da entwickelt sich etwas sehr einseitig. Zumindest denke ich, dass wir mit dem ausschließlichen Gedanken an den EIGENEN Content im Social Web auf dem sprichwörtlichen „Holzweg“ sind.

Big Content
Denn: Ist es nicht absurd, dass wir in Zeiten von Big Data – wo es eigentlich um die Reduktion von Content bzw. dessen Organisation und Aggregation (Stichwort: Curation) geht – darüber diskutieren, welche Inhalte wir jetzt auch noch beisteuern können, um die Informationsüberflutung perfekt zu machen? Und: Ist nicht die Frage allein schon ein Armutszeugnis? Eigentlich sollte man als Unternehmen doch wissen, was man berichten kann. Wenn man erst danach suchen muss, dann steigt potenziell (oder exponentiell?) die Gefahr, dass man unnützen Content liefert. Um es auf den Punkt zu bringen: Die meisten Content Strategien, die ich sehe und höre sind verkrampft, erzwungen. Die Themen, die bespielt werden oft an den Haaren herbei gezogen.

Ganz konkret
Neulich unterhielt ich mich mit dem Mitarbeiter einer DMO. Auch dort wurde gerade eine Content Strategie entwickelt. Für rund 5000 Facebook Fans. Ich fragte dann, wie viele Übernachtungen es in der Region gäbe. Die Angabe belief sich auf mehrere Millionen pro Jahr. Für diese Menschen, die gerade ihre „Schönste Zeit des Jahres“ erleben, die emotional und auch sonst mit allen Sinnen involviert sind. Für diese wird keine Content Strategie entwickelt. Dabei sind es doch gerade die Gäste, die ihren Freunden von ihrem Urlaub erzählen. Heute mehr denn je: Im Social Web.

Das gleiche Bild offenbarte sich mir auf einem anderen Kongress. Dort gab es einen Vortrag, bei dem die Interaktivität des Social Web betont wurde. Die Kunden würden mehr Macht haben, seien stärker vernetzt, würden sich austauschen, etc. So weit, so gut. Und dann? Dann wurden die Erfolgsfaktoren am Ende zusammengefasst: Legen Sie Zeiten fest, zu denen sie Berichten. Legen Sie Personen fest, die schreiben. Bestimmen Sie Themen. Ein Redaktionsplan. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Zum Abschluss dann noch der Punkt (oder Tropfen), der bei mir das bekannte Fass zum Überlaufen brachte: „Wenn Sie ein Skihotel sind, berichten Sie im Winter über Neuschnee“. Schon klar! Über das Wetter kann man eben immer schreiben.

Social: It’s in the word!
DAS ist kein Social Media Marketing! Solche „Tipps“ kommen von PR-Agenturen, die neue Geschäftsfelder suchen. Und ich finde, dass wir endlich einmal umdenken sollten. Weg von der egozentrischen Denkweise. Es kann doch nicht sein, dass immer von der neuen Macht der Kunden gesprochen wird und dann munter die eigenen Kanäle mit Belanglosigkeiten gefüttert werden. Für einen Bruchteil der Kunden, die auf Facebook Fans der Destination sind. Hinzu kommt ja noch: Die Nachrichten sind überhaupt nur für wenige dieser Fans sichtbar. Dem EdgeRank sei dank. Und: Sie gehen in der Fülle anderer Statusmeldungen unter.

Post it Baby!
Genau deshalb sollte man etwas posten, das interessant und relevant ist. Nun, was kann das sein? Denn das Problem ist: Man kann nicht wissen, was ALLE Kunden zu einem bestimmten Zeitpunkt interessiert. Man weiß nicht, in welcher Stimmung diese gerade sind. Das ist das Grundproblem aktiver Content Strategien. Es muss antizipiert werden, was die Kunden resp. Gäste gerade denken, wie sie fühlen. Die unterschiedlichen Bedürfnisse fangen schon damit an, dass manche Facebook Fans vor Ort sind, andere ihren Urlaub gerade abgeschlossen haben und wieder andere sich gerade auf den nahenden Urlaub freuen. Wie will man all diesen Bedürfnissen gerecht werden? Ach, richtig: Das Wetter – ich vergaß 🙂

Content-Strategie
Eigene Darstellung (Illustration: Claudia Uecker)

Lösungen!
Jetzt kann man mir vorwerfen, dass ich lediglich Kritik übe. Um es vorweg zu nehmen: Auch das Stellen der richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt halte ich für wichtig. Aber, es geht hier ja auch darum, Möglichkeiten anzubieten. Voila: Wie wäre es mit einer dezentralen Content Strategie? Weg von dem Gedanken, dass man eine eigene Fanpage braucht, um Social Media Marketing betreiben zu können. Was ist denn die eigentliche Stärke im Social Web? Richtig: Es sind die privaten Communities. Es ist der Austausch unter Freunden. Da haben Unternehmen selten etwas verloren. Sie stören. Sie sind Werbung. Sie nerven. Warum also abmühen? Dezentrales Denken ist gefragt. Das Denken in Netzwerken der Kunden ebenfalls. Ganz konkret: Das Ziel liegt darin, einen unvergesslichen Urlaub zu schaffen. Unbeschreibliche (nicht im Wortsinn) Erlebnisse. Und – das ist jetzt wichtig – Kontaktpunkte in den digitalen Raum anzubieten.

Der Punkt ist ganz einfach der: Bisher wird lediglich in einer sehr eingeschränkten Weise über Content nachgedacht. Die Differenzierung zwischen aktiv und reaktiv haben schon einige umgesetzt. Das gilt insbesondere für all diejenigen, die ihre Social Media Kanäle als Servicestelle interpretieren. Die Gäste haben hier jeweils die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse, Wünsche, Fragen, usw. zu stellen und bekommen so eine Anlaufstation, die orts- und zeitunabhängig Funktioniert. Das ist eine reaktive Content Strategie.

Weniger ist bisher jedoch die Dezentralität des Contents verinnerlicht worden. Vielleicht auch, weil man das Ergebnis nicht messen und auch nicht sehen kann. Dabei liegt es auf der Hand: Informationen, die von Freunden kommen, sind glaubwürdiger. Das bestätigt so ziemlich jede Studie. Warum also nicht darauf bauen? Warum nicht „nur“ digitale Touchpoints anbieten, um Gäste ihre Erlebnisse in ihren privaten Communities teilen zu lassen? Zutaten: Kostenloses WLAN. Mehr Kreativität bei Aufforderung a la „Follow us on Facebook“. Warum nicht mal der Appell, tolle Urlaubserlebnisse seinen Facebook Freunden mitzuteilen. Trivial? Ja. Aber kaum einer macht es. Der Effekt? Ich denke: Größer! Zusätzliche Fans? Null. Aber: Who cares?

To sum it up…
Eine Content Strategie kann sich auf einem Kontinuum von zentral bis dezentral, von aktiv bis reaktiv bewegen (siehe Abbildung). Dabei propagiere ich hier weder das eine noch das andere. Wichtig ist mir nur, dass deutlich wird, dass derzeit viel zu sehr in der Kategorie: aktiv und zentral gedacht wird. In diesem Sinne wünsche ich mir viel dezentrales und reaktives Feedback zu meinen Ausführungen 😉

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Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Gregor

    Daumen hoch!

  2. Marco Riederer

    Danke Eric für diesen tollen Artikel, der auch meine bereits oft gemachten Gedanken super in Worte zusammenfasst.
    Den meisten Firmen geht es leider! noch immer hauptsächlich um die Anzahl der Fans bzw. um die Interaktion mit den bestehenden Fans. Vergessen wird hierbei oft, dass damit nur ein Bruchteil des tatsächlich bestehenden Potentials abgerufen wird. Außerdem darf es natürlich nie um Fans und/oder Interaktionsraten gehen. Content hin – Content her… Schlussendlich haben alle Destinationen/Hotels/TVBs etc. das gleiche Ziel –> Mehr zahlende Gäste bzw. die Zufriedenheit der bestehenden Gäste – und die findet man kaum (nur) in der eigenen Followerschaft!

    Bin gespannt, wie sich der (Social-)Markt hier weiterentwickelt…
    lG, Marco

  3. Jan Hoffmann

    Hallo Eric,
    Kann ich soweit teilen, aber man muss eben die Realität in deutschen DMO sehen! Da wurde noch nie Content erzeugt (nur für Broschüren) und deshalb braucht man jetzt eben plötzlich Contentstrategien, weil man das erste Mal täglich irgendwas absondern muss.
    Insofern kann man es auch positiv sehen: So Me ist ggf. der Treiber dafür, was DMOs und LMOs vor allem machen müssten: Content erzeugen, kuratieren

  4. Jan Hoffmann

    iPhone war zu klein;)
    Zu organisieren und aggregieren.
    PROBLEM: das bezahlt uns niemand 🙁
    Und da sind wir wieder in diesem hässlichen Ding! Wie heißt das noch mal, ja genau: Realität (zumindest im D-Tourismus 😉

    By the Way: ich kann mich mit 6,5 Leuten nicht beschweren, war mehr so allgemein formuliert 😉

  5. Eric Horster

    @all: Danke für die Blumen!

    @Jan: Ja. Es stimmt, dass sich da etwas bewegt. Das ist auch mein Gefühl „aus der Entfernung“. Dennoch ist es eben auch so, dass genau das der Punkt ist: Es sind keine Ressourcen da, es sind keine Themen da. Warum also krampfhaft eigenen Content produzieren? Wer sagt denn, dass man täglich etwas „absondern“ muss? Das ist doch nur so, wenn man sich gezwungen fühlt ständig etwas auf seiner Seite zu posten, um die Leute bei Laune zu halten. Und das geht eben nur dann, wenn man Themen hat. Oder aber, man denkt in eine andere Richtung: dezentral, reaktiv. Dann sind es eben nicht die eigenen Seiten, die bespielt werden, sondern die der Gäste. Damit spart man sowohl die Auswahl der Themen als auch die Personalressourcen. „Liquid Content“, wie es so schön heißt 🙂

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