Google+ vs. Facebook: Ein erster Vergleich aus Anwendersicht

Dieser Artikel von mir wurde erstmalig am 04. Juli 2011 bei Usabilityblog veröffentlicht.

Am 28.06.2011 überschlugen sich die Meldungen förmlich. Auf Facebook und Twitter wurde wild umhergefragt, wer denn nun bereits eine Einladung zum neuen sozialen Netzwerk von Google bekommen hätte. Es ist nun also amtlich: Google forciert sein eigenes Social Network unter dem Namen „The Google+ Project“. Dies erklärt auch den schwarzen Balken, der seit einigen Tagen auf der Google Seite zu sehen ist. Das Projekt soll offensichtlich sehr prominent in der Navigation von Google platziert werden. Google nimmt die Einführung somit sehr ernst und verbindet gleichzeitig Social und Search.

Ähnlich wie bei Gmail kann den Dienst zunächst nur ein kleiner Kreis testen. Dennoch kursieren bereits eine Menge Screenshots, Videos und Beschreibungen von Google+ im Netz. Auf dieser Basis werde ich in diesem Beitrag das Google+ Project und Facebook vergleichen. Grundsätzlich ist Google+ dabei in fünf Features eingeteilt:

Circles
Was bei Facebook die Listen, sind bei Google+ die Circles. Bei Facebook sind diese Listen sehr versteckt und nur mit vielen Klicks zu erreichen. Dies führt dazu, dass Nutzer die sich nicht aktiv damit beschäftigen, diese Listenfunktion nicht kennen. Somit werden Listen häufig nicht adäquat gepflegt und sind dadurch bisher lediglich ein Add-on.

Dies ist bei Google+ anders. Hier haben die Circles eine Omnipräsenz. Der grundsätzliche Unterschied ist, dass Google sich von dem Facebook und Twitter Paradigma „Teile alles mit allen“ abwendet. Google besetzt damit auf die Qualität und Privatheit von Beiträgen. Die Umsetzung ist dabei sehr verspielt, was wohl auch auf Andy Hertzfeld zurückzuführen ist – einem ehemaligen Apple Designer: Wenn ein Circle gelöscht wird, rollt er aus dem Bild, gelöschte Kontakte in einem Circle verpuffen und hinzugefügte faden nach oben wie bei Super Mario Land. Aus User Experience Sicht ist es fraglich, ob dies zu einem sozialen Netzwerk passt. Ansprechender als die langweiligen Facebook-Listen sind die Circles aber allemal. Abgesehen davon bieten die Circles aber gerade im Bereich Privatsphäre einen enormen Vorteil: Es können beliebig viele Freundeskreise angelegt werden. Bei jedem Circle wählt man eine andere Form der Kommunikation, die zum jeweiligen Umfeld des Circles passt. Die Zuweisung zu einem Circle erfolgt einfach per Drag and Drop. Damit gibt es endlich eine nutzerfreundliche Möglichkeit, um effektiv zu filtern, wem welche Nachrichten geschickt werden sollen. Meine These: Die Kommunikation wird somit privater, weniger öffentlich und wird sehr viel stärker gefiltert.

Sparks
Sparks ist ein Contentaggregator, der einem RSS-Feed ähnelt. Man kann dort Interessen eingeben und bekommt dazu in einem News-Stream personalisierte Informationen zugespielt. Bei Facebook erfolgt diese Personalisierung über den EdgeRank. Der EdgeRank filtert die so genannten „Hauptmeldungen“ innerhalb des eigenen Freundschaftsnetzwerkes und sortiert die Einträge mittels eines Algorithmus nach persönlicher Relevanz. Diesen kann man als Nutzer jedoch nicht selbst beeinflussen.

Goolge nutzt bei Sparks hingegen eine Menge seiner Suchdienste wie die Google Search selbst, Statusmeldungen auf Google+ sowie den Google +1 Button. Der +1 Button bekommt dadurch eine sehr viel funktionalere Bedeutung als der Like-Button, da +1 in Kombination mit Sparks zu einem effektiven Curation-Tool werden kann. Die kuratierten Ergebnisse können zudem individuell durch die Eingabe von Interessen gesteuert werden, was im Kontext der Usability eine enorme Effektivität bedeutet. Sparks ist also soziale Suche, gefiltert durch den Social Circle. Aus meiner Perspektive ist Sparks daher die wichtigste Integration, denn hier kann Google seine eigentliche Stärke – die Suche – ausspielen.

Hangouts
Mit Hangouts bringt Google einen Gruppen-Videochat in soziale Netzwerke, den es bei Facebook bisher nicht gibt. Dennoch macht diese Integration unmittelbar Sinn. Denn bisher erfolgt die soziale Interaktion auf Facebook ausschließlich in schriftlicher Form. Hier geht Google aus meiner Sicht einen sehr logischen, aber von Facebook völlig vernachlässigten Schritt. Denn soziale Interaktion erfolgt natürlich nicht nur auf dem Schriftweg, sondern auch verbal und über Gestik und Mimik.

Aus Usabilitysicht scheint Hangouts sehr durchdacht. Die Idee dahinter ist, dass es bei einem Gruppen-Videochat unverbindlicher ist, sich in ein Gespräch mit einzubringen. Dabei können maximal 10 Personen an einem Hangout teilnehmen. Goolge bringt dann immer das Video der Person in den Haupt-Screen, die gerade spricht, bzw. am lautesten spricht. Hangouts erinnert somit mehr an Skype, als an Facebook. Mit dem Vorteil, dass Hangouts direkt in das soziale Netzwerk integriert ist. Eine doppelte Kontaktpflege entfällt somit.

Instand Uploads
Im Bereich Mobile greift Google das Thema Cloud Computing auf. Auch bei Facebook können Fotos und Videos mobil hochgeladen werden. Allerdings werden diese dann auch gleich veröffentlicht. Es sei denn, dass man einem Ordner eine private Einstellung erteilt hat. Facebook geht also zunächst davon aus, dass man jedes Foto veröffentlichen will.

Bei Google+ sind Bilder und Videos zunächst mal privat. Vom Desktop aus wird dann angezeigt, welche Fotos neu hinzugekommen sind und mit welchem Circle man diese teilen möchte. Angeblich ist sogar gleich ein Photo Editor integriert. Hier punktet Google also auch im Bereich Privatsphäre. Aus Usabilitysicht ist es ein klarer Vorteil für alle, die ihre Fotos nicht ad hoc teilen möchten.

Huddle
Dieses Tool ist ebenfalls ein Key-Feature im Bereich Mobile. Huddle ist ein mobiler Gruppen-Chat. Bei Facebook ist die Kommunikation in diesem Bereich weiterhin one-to-one. Es gibt jedoch viele Situationen, bei denen sich eine Gruppe vor einem Event austauschen möchte. Diese Möglichkeit bietet Huddle. Vor einer Verabredung können sich verschiedene Personen in einer Huddle Gruppe somit austauschen und absprechen. Vom Grundprinzip scheint Huddle Ähnlichkeiten mit Twitter zu haben. Nur, dass eben auch hier der privaten Kommunikation Priorität eingeräumt wird.

Weiteres
Bei jedem Beitrag kann offensichtlich auch der eigene Standort mit angegeben werden. Dies hat den Vorteil, dass ein Beitrag in einem lokalen Kontext auch Einfluss auf die Interpretation beim Empfänger haben kann. Zudem kann nach Freunden gesucht werden, die ihren Standort angeben. In Kombination mit der Integration von Google Maps ist damit eine Schnittstelle zwischen virtueller und realer Kommunikation geschaffen.

Fazit
Googles Slogan zum neuen Netzwerk ist: “Introducing a few more things on sharing”. Dies ist aus meiner Perspektive indirekt ein Statement an Facebook: “Seht her, so geht es richtig”. Das Hauptargument von Google scheint hierbei zu sein, dass das Ausreizen der Nutzertoleranz bei Facebook Unbehagen auslöst. Andere sind mangels Vertrauen in den Umgang mit persönlichen Daten gar nicht erst bei Facebook. In diesem Bereich wirbt Google+ mit seiner Privatsphäre. Was allerdings auch hier verschwiegen wird ist, dass die Datenhoheit natürlich bei Google bleibt. Anders als Diaspora ist auch Google an den Daten der Nutzer interessiert. Wer allerdings seine Kontakte personalisieren möchte und damit auch ein Stück Privatsphäre in der virtuellen Kommunikation zurückgewinnt, der ist bei Google+ sicher gut aufgehoben. Die Usability ist in diesem Bereich stark verbessert und nicht zu vergleichen mit dem Versteckspiel von Facebook. Und die vielen neuen Funktionen erscheinen intuitiv bedienbar. Was aber noch wichtiger ist: Sie sind aus realen Kommunikationssituationen adaptiert, so dass sie allein dadurch verständlich werden. Zudem soll der Dienst noch erweitert werden. Die Einführung erfolgt also Schrittweise. Auf mich wirkt es deshalb so, als sei Google+ sehr am Nutzer entwickelt worden. Alles in allem erscheint die Integration und Umsetzung dabei sehr durchdacht. Jetzt kommt es darauf an, ob die von Google angekündigten Features tatsächlich so funktionieren, wie sie beworben werden. Und natürlich darauf, ob diese von den Nutzer angenommen werden. Denn letztendlich kann der Ansatz noch so gut sein – ein Circle ohne Mitglieder wird sich nicht durchsetzen.

An dieser Stelle würde ich meine unmittelbare Einschätzung gerne beenden und fragen, wie Sie Google+ sehen. Denn hierzu gibt es sicher weitere Aspekte und Gedanken.

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